Wie stellt sich die aktuelle Situation der Substitutionsbehandlung in Österreich dar? Im Rahmen einer umfangreichen Querschnittstudie erörterten Univ.Prof. Dr. Alfred Springer, Pionier der österreichischen Suchtforschung, und Dr. Alfred Uhl, Koordinator des Forschungsbereiches „Epidemiologie / Sozialwissenschaften“ sowie des Bereiches „Suchtpräventionsdokumentation – Alkohol“ am Anton Proksch Institut (API) in Wien, Themen wie das Ausbildungsniveau und die Arbeitsweise der Ärzte, die Zufriedenheit der Patienten sowie die Bewertung der verschiedenen Substanzen, die für die Substitution zur Verfügung stehen. Die Daten repräsentieren signifikant die Situation des Landes: Die Ergebnisse beruhen auf den Aussagen von etwa zwei Drittel der gesamten Substitutionspatienten in Österreich. Im Gespräch mit drogensubstitution.at bietet Alfred Springer Einblick in die wichtigsten Erkenntnisse der Studie.

Wie steht es aktuell um die Substitutionsbehandlung in Österreich?

Springer: Im Großen und Ganzen lässt sich aus der Studie ableiten, dass die Substitutionsbehandlung sowohl aus der Sicht der Ärzte wie auch der Patienten recht gut und zufriedenstellend funktioniert. Allerdings konnte keine Information darüber gewonnen werden, in wie viel Fällen die Substitution nicht angenommen wurde oder abgebrochen wurde. Die zur Verfügung stehenden Mittel werden differenziert und diversifiziert eingesetzt, wobei im Zeitraum in dem die Untersuchung stattfand, bereits die Verschreibungsregeln der neuen Substitutionsverordnung umgesetzt wurden.

Welche Substanz wurde am häufigsten verschrieben?

Springer: Die zumeist verschriebenen Substanzen waren Morphinzubereitungen mit verzögerter Freisetzung der Wirksubstanz gefolgt von Methadon und Buprenorphin. Die Morphinpräparate wurden sowohl von den Ärzten wie auch den Patienten am positivsten bewertet. Allerdings wurde ihnen von den Ärzten ein relativ hohes Missbrauchspotential zugeordnet. Das geringste derartige Risiko wurde dem Buprenorphin zugeschrieben. Methadon schnitt sowohl in der Bewertung durch die Patienten wie auch durch die Ärzte am schlechtesten ab.

Unter welchen Bedingungen wurde welche Substanz eingesetzt?

Springer: Die positiven Bewertungen ergaben ein differenziertes Bild. Die Ärzte gaben an, dass sie das Morphin insbesondere bei somatisch kranken Patienten, schweren psychischen Komorbiditäten und langer Substitutionsdauer bevorzugten, während das Buprenorphin vorrangig jüngeren Patienten mit relativ kurzer Suchtanamnese verordnet wurde. Auffallend war, dass Methadon überzufällig häufig in niedriger Dosierung verschrieben wurde. Die Bedingung einer täglich oder mehrmals wöchentlich kontrollierten Einnahme wurde am häufigsten im Falle der Morphin-Verschreibungen umgesetzt.

Welche Kritik üben die Patienten?

Springer: Kritik wurde von den Patienten hauptsächlich an den Mitgaberegeln geäußert, wobei diese Kritik auch in der Bewertung der Substanz Niederschlag fand. Der Wunsch nach Umstellung des Mittels wurde am häufigsten von Methadon-Substituierten geäußert, am seltensten von den Morphin-Klienten.

Was bedeuten die Ergebnisse für die Praxis der Substitutionsbehandlung?

Springer: Wie auch aus internationalen Studien bekannt ist, funktioniert die Substitutionsbehandlung besser, wenn nur solche Regeln den Behandlungsablauf beeinflussen, die sowohl für den Arzt wie für die Patienten verständlich und notwendig sind. Auch unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass eine patientengerechte Dosierung und eine minimal beschränkende Mitgaberegelung zu höherer Patientenzufriedenheit führen und damit sicherlich auch zu besserer Compliance beitragen. Aufklärungsbedarf besteht, warum Methadon so häufig in niedriger Dosierung (eventuell sogar unterdosiert) verschrieben wird. Eine Begriffsklärung scheint notwendig, was für Ärzte als „Missbrauchspotential“ bedeutet. Wird darunter lediglich die Bereitschaft zu verschreibungswidrigem intravenösem Gebrauch verstanden, oder gibt es weitergehende ordnungs- und sicherheitspolitische Bedenken? Ohne eine derartige Begriffsklärung wird man wohl kaum zu Maßnahmen gelangen, die eine Optimierung der Situation versprechen.

Im Gegensatz zu Morphin retard und Buprenorphin schneidet Methadon in der Bewertung sowohl bei den Ärzten, als auch bei den Patienten schlechter ab.

Springer: Methadon schneidet in der Bewertung schlechter ab, allerdings sind die Unterschiede auch wieder nicht so gravierend, weil die Zufriedenheit mit der Substitutionsbehandlung auch bei Methadonklienten überwiegt. Überhaupt sollte man dieses Phänomen differenziert und nicht auf Substanzniveau allein beschränkt untersuchen. Die Bewertung einer Substanz hängt nicht nur von ihren pharmakologischen Eigenschaften ab, sondern ist weitgehend auch von den Bedingungen ihrer Abgabe und anderen sozialen und psychologischen Faktoren mitbestimmt.

Was kann die Politik in Hinsicht auf das aktuelle Suchtmittelgesetz daraus lernen?

Springer: Für die politische Bewertung ist sicher wichtig, dass sich erweist, dass die Ärzte differenziert und problembewusst handeln. Die neu geschaffenen Konditionen und Restriktionen haben gegriffen, allerdings leider nicht nur zu den erwünschten Ergebnissen geführt. Insbesondere ist der Beigebrauch nicht unter Kontrolle gebracht worden und scheint insbesondere bei Methadonklienten eine recht hohe Bereitschaft zu bestehen, andere Opioide, die illegal erworben werden, zu gebrauchen. Genauere Forschung müsste sich der Frage widmen, ob diese Bereitschaft auch etwas mit der Zubereitung der Substanz zu tun hat. Zu hinterfragen ist auch, ob die Erschwerung, Methadon intravenös zu gebrauchen, dazu führt, dass andere Substanzen für den intravenösen Gebrauch erworben werden. Dieser Missbrauchssituation kann offenkundig weder durch Verbote noch durch restriktive Verschreibung und der Forderung nach Weiterbildung des Arztes wirksam begegnet werden.

Auf jeden Fall sprechen die Ergebnisse dafür, dass eine hohe Kompetenz der substituierenden Ärzte besteht, die Behandlungsmethode gut etabliert ist und von jener Klientel, die sich mit den Bedingungen, unter denen sie umgesetzt wird, abfindet, gut angenommen wird. In  der Zukunft  sollte dafür gesorgt werden, dass die Kompetenz genutzt wird und dass die drogenpolitische Regulierung den Zugang zur Substitutionsbehandlung erleichtert. Es sollte ein flächendeckendes Angebot ermöglicht werden, das auch für jene Teilpopulation der Morphinabhängigen attraktiv ist, die bis jetzt nicht den Zugang zu dieser Versorgung gefunden hat.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Die Studie zum Downloaden: (PDF, Querschnittstudie)

source: http://www.drogensubstitution.at/expertenmeinung/aktuelle-situation-der-substitutionsbehandlung-in-oesterreich-eine-querschnittstudie.htm