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Im Interview mit der Plattform http://www.drogensubstitution.at kritisiert Günther Zäuner, Autor des jüngst erschienenen „Drogenreport Österreich“, scharf das österreichische Pharmaunternehmen Mundipharma und im speziellen sein Substitutionsmedikament Substitol. Nun nehmen DI Dietmar Leitner, Geschäftsführer von Mundipharma, und Univ. Prof. Dr. Ulrich Ganzinger, Internist und Leiter der Medizinischen Abteilung von Mundipharma, Stellung zu den Vorwürfen und klären missverständliche oder falsche Aussagen zur Zulassung und Sicherheit des Medikaments im Wege einer Gegendarstellung auf.

Wo liegen Ihre Hauptkritikpunkte gegenüber dem „Drogenreport Österreich“?

Leitner: Prinzipiell ist es begrüßenswert, wenn man sich wie im „Drogenreport Österreich“ mit dem Themenkomplex Drogenprävention, –therapie und –missbrauch auseinandersetzt. Weite Teile des Buches entsprechen auch grundsätzlich der Sachlage. Was uns fehlt, ist ein medizinisch-wissenschaftlicher Anspruch – besonders bei jenen Kritikpunkten, die speziell unser Unternehmen und das Produkt Substitol betreffen. Hier sehen wir großen Aufklärungsbedarf.

Was sind die wesentlichsten Punkte, die Ihrer Meinung nach zu wenig klar herauskommen?

Leitner: Es ist vielfach nicht bewusst, dass die Substitutionsbehandlung von der WHO als wirksamste Therapie von Heroinabhängigkeit eingestuft wird. Wobei auch anzumerken ist, dass die Substitutionsbehandlung keine Heilung, sondern eine Stabilisierung dieser äußerst schweren psychiatrischen Erkrankung erreichen kann. Wichtig ist auch zu bedenken, dass Drogenabhängige – trotz Therapie – verschiedene krisenhafte Lebensphasen durchmachen, die ihre Gesundheit gefährden. Dazu gehört beispielsweise ein gleichzeitiger Beikonsum von anderen legalen und illegalen Substanzen wie Nikotin, Alkohol und Beruhigungsmittel, aber auch von Kokain und Opiaten. Wesentlich dabei ist die Reduktion des Beikonsums bzw. des Missbrauchs der Substitutionsmedikamente.

Welche Substitutionsmedikamente werden missbräuchlich verwendet?

Leitner: Neueste Studien zeigen, dass der Missbrauch von Substitutionsmedikamenten in allen Ländern ein Problem darstellt, unabhängig davon, welche Medikamente eingesetzt werden. Der Missbrauch ist also unabhängig von der Substanz. Es ist nicht gerechtfertigt, die Diskussion über den Missbrauch an nur einer Substanz aufzuhängen und damit eine wichtige Therapieform zu gefährden. Außerdem ist erwiesen, dass mit steigendem Therapieangebote für Opiatabhängige der Missbrauch von Substanzen – auch während einer Substitutionstherapie – abnimmt. Hier besteht in Österreich noch Handlungsbedarf, zumal nur ca. 8.000 von den geschätzten 30.000 Opiatabhängigen in Österreich in Therapie sind.

Ist nun speziell Substitol ein Gesundheitsrisiko – wie im Buch dargestellt?

Leitner: Prinzipiell ist klarzustellen: Substitol ist eine von mehreren Substanzen, die sich zur Substitutionstherapie bei Opiatabhängigkeit eignen. Bei einer ordnungsgemäßen, d.h. oralen, Einnahme ist Substitol eine wirksame Substanz mit bekanntem Nebenwirkungsprofil, das auch in der Fachinformation beschrieben ist. Substitol wurde für die orale Einnahme entwickelt, und nicht für die intravenöse und damit missbräuchliche Verabreichung.

Laut „Drogenreport Österreich“ stellt speziell ein Bestandteil des Substitols, das so genannte Talkum, ein großes Sicherheitsrisiko dar. Intravenös verabreicht führt es laut Buch zu Venen- und Arterienverstopfungen, Herzklappenveränderungen bis hin zum Tod. Gibt es Studien zu den gesundheitlichen Risiken von Talkum?

Ganzinger: Jedes Medikament, das anders als vorgeschrieben angewendet wird, birgt ein klares Gesundheitsrisiko. Werden Medikamente, die Talkum als Hilfsstoff enthalten, aufgelöst und missbräuchlich intravenös verabreicht, kommt es zu Gesundheitsschäden. Schweregrad und Häufigkeit dieser Gesundheitsschäden nehmen mit der zunehmenden Dauer und Menge des so in den Körper gelangten Talkums zu. Das gilt für jeden Hilfsstoff, der nicht vom Körper abgebaut, sondern eingelagert wird. Diese Gesundheitsschäden sind seit Jahren bekannt und betreffen eine Vielzahl von Medikamenten. Sie treten aber nur in Einzelfällen auf, wie der medizinischen Fachliteratur zu entnehmen ist. Es ist wichtig, auf diese Zusammenhänge hinzuweisen, um somit einen Beitrag zur Verringerung des Missbrauchs zu leisten.

Besteht ein derartiges Risiko auch beim IV-Missbrauch von Substitol?

Ganzinger: Aus rein medizinischen Überlegungen ja, allerdings gibt es für Substitol keinen bestätigten Fall. Unbestätigte Meldungen über Ablagerung von Talkum in Herzklappen sind medizinisch nicht nachvollziehbar. Wir haben alle heimischen herzchirurgischen Abteilungen angeschrieben, wir haben bei der Statistik Austria über Entlassungsstatistiken recherchiert. Das Ergebnis: Schädigungen durch Talkum nach nichtordnungsgemäßer Anwendung von Substitol konnten bisher in keinem einzigen Fall in Österreich medizinisch bestätigt werden.

Zäuner kritisiert, dass Substitol in Tablettenform hergestellt wird, wo Talkum automatisch mit dabei ist. Er schlägt vor, Substitol in flüssiger Form anzubieten. Warum tun Sie das nicht?

Ganzinger: Zuerst muss klargestellt werden, dass Substitol eine Kapsel und keine Tablette ist. Die richtige Galenik für ein Medikament zu finden, ist eine Wissenschaft für sich. Hier greift Mundipharma auf seine über 30-jährige Erfahrung im Umgang mit Morphin in der Schmerztherapie zurück. Erst mit der Entwicklung einer 24-Stunden-Retard-Galenik für Morphin erfüllt Substitol die Anforderungen an ein für die Substitution geeignetes Medikament. Die Beimengung von Talkum erfolgt aus Qualitätsgründen. Es stellt u. a. sicher, dass die Kapseln bei der großtechnischen Produktion gleichmäßig mit Pellets, kleinen Kügelchen, befüllt werden, die den Wirkstoff tragen und die 24-Stunden-verzögerte Wirkstofffreigabe – das Grundprinzip der „Retard-Wirkung“ ermöglichen.

Substitol in flüssiger Form anzubieten geht schon deshalb nicht, weil damit die 24-Stunden Wirksamkeit verloren geht. Abgesehen davon, erachten wir es als ethisch bedenklich, ein Medikament, das ausschließlich für die orale Einnahme zugelassen und entwickelt wurde, so zu verändern, dass es zu weniger Gesundheitsschäden beim Missbrauch führt. Hier gilt es Maßnahmen zur Reduktion des Missbrauchs zu setzen.

Aus bestimmten medizinischen Gründen, die unmittelbar mit Sucht als Krankheit zusammenhängen, kann die medizinische Notwendigkeit entstehen, Substanzen intravenös zu geben. in Ländern wie Deutschland, Schweiz, Holland und England gibt es Heroin-gestützte Programme. Wir appellieren an die Verantwortlichen in Österreich, andere Therapiemöglichkeiten, wie eben z. B. Heroin-gestützte Programme, auch für Österreich zu evaluieren.

Was ist mit den 200 Todesfällen auf Grund von Substitol-Missbrauch, von denen im „Drogenreport Österreich“ gesprochen wird?

Ganzinger: Jedes Drogenopfer ist eines zu viel. Österreich hat im Jahr 2005 laut dem „ÖBIG Bericht zur Drogensituation 2006“ insgesamt 191 Drogenopfer zu beklagen. Die im Buch angesprochene Zahl von Todesfällen, noch dazu im Zusammenhang mit unserer Substanz, deckt sich nicht mit den veröffentlichten Statistiken.

Veränderungen in der Zahl der Drogenopfer in den letzten Jahren müssen unbedingt im Zusammenhang mit der immer häufigeren Mehrfachabhängigkeit gesehen werden, wo neben Heroin und Kokain auch große Mengen von Beruhigungsmitteln und Alkohol gleichzeitig konsumiert werden. Die Statistik zeigt dies in einer zunehmenden Zahl von sogenannten Mischintoxikationen. Wie auch im Bericht des Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitsforschung (ÖBIG) nachzulesen ist, ist es bei Opiatintoxikationen nicht möglich, zwischen Morphin und Heroin zu unterscheiden, da Heroin im Körper innerhalb kürzester Zeit zu Morphin umgewandelt wird. Mit herkömmlichen Methoden kann nicht unterschieden werden, woher das Morphin stammt.

Leitner: Im Zuge der gesetzlich verpflichtenden Arzneimittelüberwachung gehen wir von Mundipharma jeder einzelnen Meldung über eine unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) mit und ohne Todesfolge auf Grund von Substitol nach. Wir erstellen alle sechs Monate einen Bericht zu allen berichteten und gemeldeten Nebenwirkungen und legen diese der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit vor. Diese dem Ministerium nachgeordnete Agentur bestätigte, dass basierend auf diesen Daten und Fakten das Nutzen-Risiko Verhältnis zu Gunsten der Arzneispezialität vorliegt.

Könnte man Talkum in der Obduktion nachweisen?

Ganzinger: Im Prinzip ist es möglich. Aber das wäre so, als würde man eine Stecknadel im Heuhaufen suchen. Erst die Folgen eines langjährigen Missbrauchs von großen Mengen ließen sich feststellen – nämlich in Form der in der Wissenschaftsliteratur beschriebenen Krankheitsbilder. Wie uns u. a. das gerichtsmedizinische Institut der Universität Wien bestätigt hat, konnten derartige Fälle im Rahmen von Obduktionen bisher nicht für Substitol nachgewiesen werden.

Im „Drogenreport Österreich“ wird die oft schlampige Vorgehensweise bei Obduktionen von Todesfällen in Folge von Drogenmissbrauch kritisiert. Sind diese Vorwürfe berechtigt?

Ganzinger: Uns steht es nicht zu, dies zu kommentieren. Wie schon erwähnt, ist es sehr schwierig, die Todesursache bei einem Opiatabhängigen an einer spezifischen Ursache aufzuhängen. Meist sind es mehrere Gründe und Umstände, die zum Tod führen. Wir fordern aber schon seit langem, dass Obduktionen und deren Befunde nach einheitlichen Kriterien durchgeführt werden. Dies gilt auch für die Nachweismethoden von illegalen Substanzen in Blut- und Harnproben.

Zusätzlich könnten über eine genauere Erhebung sozialmedizinische Informationen zum Umfeld des Toten gewonnen werden, womit die Maßnahmen zur Prävention wesentlich verbessert werden könnten.

Seit seiner Zulassung im Jahr 1999 hat sich Substitol gut in der heimischen Substitutionstherapie etabliert. Was sind die Gründe?

Ganzinger: Die Wirksamkeit von Morphin in der Substitutionstherapie ist seit Jahrzehnten bekannt und durch mehrere Studien belegt. Patienten unter Morphinsubstitution fühlen sich wesentlich besser als vergleichsweise unter Methadon, sie sind deutlich weniger depressiv. Darüber hinaus ist Morphin sehr gut verträglich. Das wissen wir auch von Patienten, die Morphin zur Behandlung ihrer Schmerzen bekommen. Es ist sehr wesentlich, dass sich Patienten in ihrer Behandlung auch subjektiv gut fühlen, denn ihre Befindlichkeit entscheidet, ob sie in der Therapie bleiben oder diese vorzeitig abbrechen.

Es gibt also klinische Studien?

Leitner: Natürlich gibt es mehrere klinische Studien, die auch in Fachjournalen publiziert sind und nachgelesen werden können. Die vorher erwähnten positiven Eigenschaften im Vergleich zu Methadon sind u. a. in einer der international sehr angesehenen Fachzeitschrift auf diesem Gebiet veröffentlicht worden (Eder H. et al.: Comparative study of the effectiveness of slow release morphine and methadone for opioid maintenance therapy. Addiction 100: 1101-1109 (2005)).

Zum Abstract der Studie: http://www.ncbi.nlm.nih.gov

Warum ist Substitol nur in drei Ländern zugelassen?

Leitner: Substitol ist derzeit in . In anderen Ländern wurde bisher um keine Zulassung angesucht.

Im Endeffekt ist also nicht das Medikament Substitol das Problem, sondern dessen Kriminalisierung und missbräuchliche intravenöse Anwendung. Wie kann man dem entgegensteuern?

Leitner: Es geht letztlich darum, die Gruppe jener Opiatabhängigen, die ein intravenöses Konsumverhalten zeigen und mehrere Substanzen gleichzeitig einnehmen, von diesem gefährlichen Konsumverhalten abzubringen und in ein Substitutionsprogramm zu integrieren. Bislang ist von den geschätzten 30.000 Opiatabhängigen in Österreich nur etwa ein Drittel in einer Substitutionstherapie. Nur unter ärztlicher Fürsorge können Missbrauch langfristig unterbunden und Patienten auf die Gesundheitsrisiken aufmerksam gemacht werden. Dafür engagieren wir uns und arbeiten intensiv mit Behörden und Drogeninstitutionen zusammen.

Greift die heimische Drogenpolitik diesbezüglich?

Leitner: Österreich hat mit seiner Drogenpolitik sicherlich europaweit eine Vorreiterrolle – speziell in Wien. Das breit gefächerte Angebot in der Substitutionstherapie ermöglicht ein individuell auf den Patienten abgestimmtes Programm, was wiederum die Erfolgsquote, also die Therapietreue und Wiedereingliederung in den Alltag, erhöht.

Ganzinger: Vorrangiges Problem ist, und da stimmen wir mit dem Buch überein: Es gibt nach wie vor zu wenig Therapieplätze. Für einen sichereren Rahmen in der Substitutionstherapie sollte zusätzlich die seit 1. März in Kraft befindliche Verordnung sorgen.

1. 000 Heroinabhängige werden in Österreich mit opiatähnlichen Substanzen substitutiert – Ganslwirt-Leiter Hans Haltmayer beklagt zu wenig Therapieplätze

Haltmayer: Sucht ist von der WHO als Erkrankung definiert und in den internationalen Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM IV auch als solche beschrieben und festgehalten. Mit Willensschwäche hat eine Suchterkrankung gar nichts zu tun.

derStandard.at: Dann ist Rauchen auch eine Krankheit?

Haltmayer: Per definitionem Ja. Es gibt ja mittlerweile auch eine Reihe von Rauchertherapien und Entwöhnungsprogrammen gegen die Nikotinabhängigkeit. Im Vergleich mit der Opiatabhängigkeit wiegt die Nikotinabhängigkeit aber weniger schwer.

derStandard.at: Was die WHO definiert, scheint die Allgemeinbevölkerung aber wenig zu tangieren. Opiatabhängige sind nach wie vor eine stigmatisierte Bevölkerungsgruppe.

Haltmayer: Tatsächlich gibt es hier ein großes Informationsdefizit. Es wird Zeit, dass Experten und Politiker die Bevölkerung darüber informieren, dass die Drogenabhängigkeitserkrankung eine Krankheit ist, die man sich nicht aussuchen kann.

derStandard.at: Die Substitutionstherapie ist eine Behandlungsoption für Opiatabhängige. Ist das langfristige Ziel die völlige Drogenfreiheit?

Haltmayer: Davon kehrt man zunehmend ab, weil es sich vielfach als unrealistisch erweist. Die Substitutionsbehandlung verfolgt andere Ziele. Das wichtigste ist, dass die Patienten nicht mehr in die Illegalität gedrängt werden, sondern in ein strukturiertes medizinisch therapeutisches Behandlungssetting kommen.

Das bringt viele Vorteile. Es kommt zu einer Reduktion der Straffälligkeit und damit zu einer Verringerung von Kosten und Schaden für die Allgemeinheit. Außerdem reduziert sich die Verbreitung von Infektionserkrankungen, wie Hepatitis C oder HIV. Für die Patienten selbst ist das primäre Ziel der Drogenersatztherapie eine Verringerung der Sterblichkeit.

Studien zeigen, dass Opiatabhängige eine 20fach erhöhte Sterblichkeit haben, verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung der gleichen Altersgruppe. Unbehandelt sind nach 20 Jahren ungefähr 45 Prozent der Opiatabhängigen tot. Unter Substitutionsbehandlung kann dieser Prozentsatz mehr als halbiert werden.

Das ist für medizinische Maßstäbe ein sensationeller Erfolg. Allerdings sind 20 Prozent noch immer inakzeptabel hoch. Das heißt da müssen noch viele Anstrengungen getätigt werden.

derStandard.at: Wie viele Menschen werden in Österreich substituiert?

Haltmayer: Aktuell werden in Österreich knapp über 11.000 Patienten substitutiert. Der überwiegende Teil davon in Wien. Im Mai 2009 waren es in Wien exakt 7176 Patienten, die auf diese Weise behandelt wurden.

derStandard.at: Wer hat Anrecht auf ein Substitutionsprogramm?

Haltmayer: Eine Indikation wird dann gestellt, wenn eine Opiatabhängigkeit besteht und sich Arzt und Patient über die Behandlung einig sind. Ein weiteres Kriterium ist der Zugang zur Behandlung. Das heißt, wie viele Therapiestellen und Ärzte gibt es, die diese Behandlung anbieten und wie weit ist die nächste Möglichkeit zur Substitutionsbehandlung entfernt.

Im Ganslwirt bieten wir ein sogenanntes niedrigschwelliges Substitutionsprogramm an. Damit gewährleisten wir den Drogenabhängigen einen hürdenlosen Zugang. Vorbedingungen oder hohe Anforderungen werden an den Patienten nicht gestellt. Das Ambulatorium Ganslwirt trägt beispielsweise die Kosten einer Substitutionsbehandlung für nicht versicherte Patienten.

derStandard.at: Mit welchen Substanzen wird in Österreich substituiert?

Haltmayer: Es gibt vier pharmazeutische Hauptprodukte mit denen derzeit substitutiert wird: Methadon, Morphin retard, Buprenorphin und ein Buprenorphin/Naloxon Gemisch. Das sind alles opiatähnliche Substanzen, teilweise natürliche, teilweise künstlich hergestellte.

derStandard.at: Methadon findet bei Patienten angeblich eine relativ geringe Akzeptanz. Warum?

Haltmayer: Zum einen besitzt Methadon viele Nebenwirkungen. Es macht müde, träge und besitzt eine depressionsfördernde beziehungsweise -auslösende Wirkung. Es reduziert die Libido und kann außerdem zu Impotenz führen. Das sind unter anderem Gründe, warum Patienten lieber auf eine andere Substanz umsteigen. In Österreich haben wir hier eine besondere Situation, weil wir als Alternative Morphin retard anbieten können. Substitol, Compensan und Kapanol sind die handelsüblichen Präparate. Der Vorteil dieser Substanzen ist, dass die chemische Wirkung am Beginn der Behandlung Heroin näher ist und daher von den Patienten deutlich bevorzugt wird.

derStandard.at: Experten fordern immer wieder das Verbot von Morphin retard. Warum?

Haltmayer: Das sind Einzelpositionen, meist von Personen die ihren Arbeitsschwerpunkt gar nicht in diesem Bereich haben. Argumentiert wird mit der missbräuchlichen Verwendung dieser Medikamente durch die Patienten. Dabei werden oft mehrere Dinge vermischt.

Der Missbrauch von Medikamenten wird einzelnen Substanzen zugeschrieben und nicht der Abhängigkeitserkrankung selbst. Der Missbrauch von Medikamenten ist aber ein Symptom der Abhängigkeitserkrankung und keine Eigenschaft des Medikaments per se.

derStandard.at: Macht die heroinähnliche Wirkung, Morphin retard nicht auch am Schwarzmarkt attraktiver?

Haltmayer: Natürlich sind sämtliche Morphin retard-Präparate aufgrund ihrer Wirkung auch am Schwarzmarkt erhältlich. Es ist immer eine Frage der Verfügbarkeit. Welche Substanzen sind im Land verfügbar und diese Substanzen finden sich dann auch am Schwarzmarkt.

In Deutschland ist Morphin retard nicht Bestandteil des Drogenersatzprogramms. Dort wird darüber diskutiert, dass Methadon am Schwarzmarkt angeboten wird.

derStandard.at: Warum eignet sich Subutex nur für psychosozial stabile Patienten?

Haltmayer: Subutex ist eine Mischung aus einem Opiat und einem Opiatblocker. Das heißt es besitzt eine opiatähnliche Wirkung die gleichzeitig etwas abgeschwächt und aufgehoben wird. Damit sind die Patienten unter Behandlung dem nüchternen Zustand näher als bei den anderen Drogenersatzpräparaten.

Verständlicherweise kommen Patienten mit einer sehr ausgeprägten Suchterkrankung mit dieser Klarheit nicht zurande. Psychosozial stabil ist in diesem Zusammenhang als Synonym für „weniger krank“ zu verstehen.

derStandard.at: Jeder Opiatabhängige braucht also ein sehr individuelles Behandlungsschema?

Haltmayer: Genau. Es sind zwar prinzipiell alle Medikamente für die Drogenersatztherapie gleich gut geeignet. Die Wahl des richtigen Medikaments muss aber ganz individuell beim einzelnen Patienten erfolgen. Ebenso wie die Höhe der Dosis.

derStandard.at: Welches Mittel in der Dorgenersatztherapie erste beziehungsweise zweite Wahl ist, wurde in Österreich aber von der Politik entschieden?

Haltmayer: Das stimmt und damit ist es auch das einzige Beispiel in der Medizin wo die Politik ein Mittel der ersten Wahl festlegt hat. Diese Entscheidung ist wissenschaftlich nicht fundiert, sollte sie aber sein. Denn die Wissenschaft ist sehr schnelllebig, jedenfalls schnelllebiger als es Verordnungen des Ministeriums sind. Das bedeutet: Es kann sein, dass sich hier auf wissenschaftlicher Ebene was ändert, während die Verordnung immer noch Gültigkeit besitzt.

derStandard.at: Wie sieht es mit der psychischen Unterstützung der Patienten aus?

Haltmayer: Das ist ein ganz wesentlicher zusätzlicher Faktor, der unbedingt berücksichtigt werden muss. Die Substitutionsbehandlung besteht nicht allein aus der Abgabe eines Medikamentes, sondern es braucht auch eine psychosoziale Betreuung. Im Idealfall erhalten die Patienten auch eine Psychotherapie, weil es doch im Laufe der Erkrankung zu vielen Traumatisierungen kommt. Das ist natürlich immer eine Frage des Angebotes. Derzeit gibt es sehr wenig krankenkassenfinanzierte Plätze.

Tatsache ist aber, dass die meisten Suchtkranken wirtschaftlich nicht gut gestellt sind und sich eine private Therapie gar nicht leisten können. Hier gibt es einen Versorgungsengpass. Allerdings – und da lege ich Wert darauf – muss eine psychosoziale Betreuung freiwillig bleiben. Es kann nicht sein, dass sie als Vorraussetzung für die Substitutionsbehandlung definiert wird. Es muss dem Patienten überlassen bleiben, ob er eine Behandlung in Anspruch nehmen will oder nicht.

Hier brauchen wir dringend zusätzliche Plätze, vor allem im psychotherapeutischen Bereich. Eine Ausweitung der Kassenbehandlungsplätze würde eine große Verbesserung in diesem Bereich bringen.

derStandard.at: Wo sehen sie noch Verbesserungsbedarf?

Haltmayer: Es gibt noch zu wenige Substitutionsbehandlungsplätze. In Wien ist die Deckungsrate mit zumindest 50% derer die es benötigen würden, schon recht gut. Aber natürlich müssen in ganz Österreich Therapieplätze geschaffen werden. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Ausweitung der Applikationsform. Wir haben derzeit ein ausschließlich orales Substitutionsbehandlungsprogramm, also nur mit Tabletten. Es sollte auch ein spritzbares Substitutionsmittel angeboten werden. (derStandard.at, 23.02.2010)

  • Inhaltsverzeichnis
    I. Einführung Seite 3
    I.1. Methodischer Zugang Seite 3
    II. Historische Aspekte der Entwicklung einer ärztlichen Haltung Seite 6
    II.1. Grundsätzliche Überlegungen Seite 6
    II.2. Zur Entwicklung der Substitutionsbehandlung Seite 7
    II.3. Vom Abstinenzparadigma zur Schadensminimierung Seite 10
    III. Praktische Durchführung Seite 13
    1. Bedeutung und Positionierung der Substitution in der Suchtbehandlung Seite 13
    2. Aspekte der Multiprofessionalität Seite 13
    3. Indikationsstellungen Seite 15
    Untersuchungen vor Behandlungsbeginn Seite 15
    4. Wahl des Substitutionsmittels Seite 19
    4.1. Allgemeiner Teil Seite 19
    Dosierung Seite 21
    Schmerzbehandlung Seite 21
    Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit und das Bedienen von
    Maschinen
    Seite 21
    Schwangerschaft und Stillzeit Seite 21
    4.2. Substanzen Seite 22
    Methadon Seite 22
    Buprenorphin Seite 22
    Slow-Release (SR)-Morphin Seite 23
    Codein/Dihydrocodein (DHC) Seite 23
    5. Einstellung und Dosisfindung Seite 24
    5.1. Dosierung des Substitutionsmittels Seite 24
    5.2. Einstellung auf das Substitutionsmittel Seite 25
    Methadon Seite 25
    Morphin retard Seite 26
    Buprenorphin Seite 26
    6. Umstellung von einem Opioid auf ein anderes Seite 27
    7. Mitgaben Seite 29
    8. Harntests Seite 31
    9. Beikonsum Seite 31
    10. Missbrauch/Verhinderung von Missbrauch Seite 33
    11. Beendigung Seite 34
    12. Therapieabbruch Seite 35
    Literaturverzeichnis Seite 36

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