Tag Archive: Substitutionsbehandlung


Leistungen, die nicht den vertragsärztlichen Vorschriften entsprechen, dürfen von Vertragsärzten nicht erbracht und von Kassenärztlichen Vereinigungen nicht honoriert werden. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden. Streitig war die Vergütung für eine Substitutionsbehandlung, die im Widerspruch zur Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135 Absatz 1 SGB V stand.

Der Kläger, der als Arzt ohne Gebietszeichnung über eine Berechtigung zur Durchführung und Abrechnung von Methadon-Substitutionsbehandlungen bei manifest Opiatabhängigen verfügt, behandelte einen Versicherten von 1995 bis zu Beginn des Jahres 2005. Nachdem der Versicherte zwischendurch bei einem anderen Arzt in Behandlung gewesen war, meldete ihn der klagende Arzt im Juli 2005 erneut zur Substitutionsbehandlung an. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ließ eine Evaluierung des Behandlungsfalls durch ihre Qualitätskommission durchführen, die zu der Auffassung gelangte, dass die Substitutionsbehandlung wegen des hohen Benzodiazepin-Konsums des Versicherten nicht mehr weitergeführt werden könnte. Die KV gab dem Kläger mit Bescheid auf, die Substitutionsbehandlung des Versicherten durch Ausschleichen spätestens zum 13. Februar 2006 zu beenden. Widerspruch und Klagen blieben ohne Erfolg.

Auch das BSG kommt zu der Auffassung, dass die Substitutionsleistungen des Arztes nicht mehr zu vergüten sind. Nach der Richtlinie des G-BA ist die Substitution zu beenden, wenn der Gebrauch von Suchtstoffen neben der Substitution ausgeweitet oder verfestigt wird. Die KV ist nicht gehindert, durch Verwaltungsakte die Vergütungsfähigkeit von Substitutionsleistungen ab einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu verneinen. In der Entscheidung der KV, derartige Leistungen nicht als vertragsärztliche Leistungen anzusehen und nicht zu vergüten, liegt auch keine berufswidrige Weisung eines Nichtarztes. (Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Juni 2010, Az.: B 6 KA 12/09 R) RAin Barbara Berner

Berlin (ots) – Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) widerspricht negativen und fachlich teilweise falschen Berichten zur Substitutionsbehandlung von Opiatkonsumenten in der Ärztezeitung und in Medien der WAZ-Gruppe („Junkies nehmen Heroin und dealen mit Methadon“). Zum wiederholten Mal entsteht in der Öffentlichkeit durch solche Berichte der Eindruck, viele Substituierte würden weiterhin Heroin konsumieren und ihr Substitut auf dem Schwarzmarkt weiterverkaufen. Dieses pauschale Bild entspricht nicht der Wirklichkeit. Substitution ist die weltweit erfolgreichste Behandlungsform für Heroinabhängige und rettet in Deutschland Zehntausenden das Leben.

Silke Klumb, Geschäftsführerin der DAH erklärt hierzu: „Substitutionspatienten werden in diesen Berichten diskreditiert, indem sie als Dealer und Betrüger dargestellt werden. Die positiven Effekte der Substitutionsbehandlung fallen unter den Tisch. Substitution ermöglicht den Betroffenen den Ausstieg aus der Drogenszene und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Viele können zum Beispiel wieder arbeiten.“

Die WAZ-Medien zitieren einen FDP-Landtagsabgeordneten, der sich auf nicht näher bezeichnete Studien bezieht. Die Ärztezeitung nimmt in ihrem Bericht Bezug auf die bekannte ZIS-Studie, zieht aber falsche Schlüsse. Bereits nach Veröffentlichung der Studie im Jahr 2009 erläuterten die Autoren: „Bei den befragten 806 Personen handelt es sich zum großen Teil um sozial desintegrierte, schwer kranke Personen, die im Umfeld von Drogenkonsumräumen kontaktiert wurden, und nicht um reguläre, integrierte Substitutionspatienten.“ Die Wissenschaftler reagierten damit auf fehlerhafte Berichte über die Studie, unter anderem im Spiegel.

Das Thema Beikonsum (Drogenkonsum zusätzlich zum Medikament, das die Droge ersetzt) wird immer wieder falsch dargestellt. Indem etwa Kokain, Medikamente und Alkohol in einem Atemzug mit Heroin genannt werden, entsteht der Eindruck, viele Substituierte würden weiter Heroin konsumieren. Das kommt aber nur relativ selten vor.

Dazu Dirk Schäffer, DAH-Referent für Drogen und Strafvollzug: „Drogenabhängige konsumieren oft viele Substanzen. Die Substitutionsmedikamente wirken ausschließlich gegen die Opiatabhängigkeit. Der missbräuchliche Konsum anderer Substanzen wird nicht beeinflusst. Hier werden unrealistische Erwartungen an die Substitutionsbehandlung gerichtet.“

Auch der reflexartige Ruf nach mehr Kontrolle der Substitutionsbehandlung verkennt die Realität. Substitution ist bereits heute so engmaschig reglementiert, dass viele Ärzte den Aufwand scheuen und aus dieser Behandlungsform aussteigen. Ein Höchstmaß an Regeln und Kontrollen erschwert zugleich vielen Abhängigen den Einstieg in die Behandlung.

Statt Substitution in Frage zu stellen, muss es darum gehen, die Palette der zur Verfügung stehenden Medikamente zu erweitern, um noch mehr Heroinkonsumenten eine für sie passende Behandlung anbieten zu können. Nach den Ergebnissen der „Heroinstudie“ in Deutschland profitieren sowohl bisher nicht erreichte Heroinkonsumenten als auch so genannte „Substitutionsversager“ von einer Behandlung mit Diamorphin (pharmazeutisch reines Heroin).

Darüber hinaus gilt es, den Wiedereinstieg in Arbeit und Beschäftigung weiter zu erleichtern und damit die Fähigkeit zur Eigenverantwortung zu stärken. Beikonsum kann auf diesem Weg reduziert werden.

Unter www.aidshilfe.de finden Sie Links zu den genannten Presseberichten. Dort steht auch die zitierte Stellungnahme von den Autoren der ZIS-Studie online.

Den Artikel haben Wir hier:


Beikonsum bei jedem zweiten Methadon-Patienten in NRW?

ESSEN (nös). In Nordrhein-Westfalen gibt es offenbar erhebliche Probleme mit Beikonsum in der Methadon-Substitution. Experten schätzten, dass jeder zweite Substitutionspatient in NRW zusätzlich illegale Betäubungsmittel konsumiert, berichten die Zeitungen der WAZ-Gruppe am Montag.
Beikonsum bei jedem zweiten Methadon-Patienten in NRW? Zitiert wird der FDP-Landtagsabgeordnete und Arzt Dr. Stefan Romberger, der sich auf Studienveröffentlichungen beruft. Diese hätten gezeigt, dass jeder Zweite zusätzlich auf dem Schwarzmarkt beschafftes Heroin oder andere "weiche" Drogen konsumiert. Defizite macht Romberger dem Bericht zufolge in Arztpraxen aus: "Da wird viel zu wenig hingeschaut, insbesondere in den Praxen, die Methadon ausgeben." In Nordrhein-Westfalen befinden sich derzeit dem Bericht zufolge rund 38 000 Menschen in einer Substitutionsbehandlung.
Laut WAZ ist auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) alarmiert. "Beigebrauch ist ein Riesenproblem", sagte Jost Leune vom DHS-Vorstand der Mediengruppe. Er fordert "viel mehr Kontrolle und zweitens eine bessere Betreuung der Patienten." Dies sei in der Realität bislang aber nur die Ausnahme. "Die Kassen zahlen diese Betreuung nicht, also findet sie auch selten statt", wird der Leiter der Düsseldorfer Drogenhilft, Joachim Alxnat, zitiert. Eine Studie aus dem vergangen Jahr kam zu ähnlichen Ergebnissen, wie sie jetzt von der WAZ berichtet wurden. 46 Prozent der Methadon-Substituierten konsumierten auf dem Schwarzmarkt besorgtes Heroin, berichtete das Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Uni Hamburg (ZIS) im Juli 2009. Bei der Ersatzbehandlung mit Buprenorphin seien es 43,4 Prozent. Das ZIS kam damals außerdem zu dem Schluss, dass zwei Drittel der Süchtigen bereits illegal Substitutionspräparate konsumiert haben. Mit knapp 60 Prozent rangierte Methadon dort an erster Stelle. Etwas mehr als 40 Prozent gaben an, Levomethadon illegal konsumiert zu haben. In Deutschland befinden sich rund etlichen zehntausend Drogenabhängige in einer Substitutionstherapie. In ihrem jüngsten "Jahrbuch Sucht" zählt die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen 72 000 im Substitutionsregister erfasste Patienten (Stichtag 1. Juli 2008). Im Vorjahreszeitraum lag die Zahl laut DHS bei 68 800. Zur Behandlung wird in fast 60 Prozent aller Fälle Methadon einsetzt. An zweiter und dritter Stelle folgen Levomethadon und Buprenorphin mit jeweils rund 20 Prozent. Codein und Diamorphin haben in der Therapie nur einen Stellenwert als Außenseiter.

Ab Juli Heroin auf Rezept

Baden-Württemberg will die umstrittene Herointherapie ab Juli ermöglichen. Das Land wird die neun geplanten Standorte finanziell unterstützen.

Stuttgart – Mit einer Verwaltungsvorschrift, die am 1. Juli 2010 in Kraft treten soll, will die Landesregierung die lange umstrittene Herointherapie für Schwerstabhängige unter ärztlicher Aufsicht ermöglichen. Ab diesem Zeitpunkt können die Regierungspräsidien dann ausgewählten Einrichtungen die Substitutionsbehandlung mit künstlich hergestelltem Heroin, dem sogenannten Diamorphin, erlauben. Das geht aus einer Kabinettsvorlage hervor, die der SÜDWEST PRESSE vorliegt. Sie soll am Dienstag verabschiedet werden. In Fachkreisen wird damit gerechnet, dass Karlsruhe und Stuttgart als erste Standorte einen Antrag auf die Herointherapie einreichen werden. Als weitere Standorte sind Ulm, Ravensburg, Tübingen/Reutlingen, Mannheim, Freiburg, Heilbronn und Singen vorgesehen.

Um die vom Bund vorgegebene Behandlungsform rasch umzusetzen, nimmt das Land selbst Geld in die Hand. Pro Standort sei ein „Investitionszuschuss in Höhe von 100 000 Euro“ erforderlich, schreibt Sozialministerin Monika Stolz (CDU) in der Vorlage. Nur in Karlsruhe, das die Therapie bereits erprobt hat, fällt die Summe mit 50 000 Euro geringer aus. Bis 2013 will das Sozialressort daher für den sukzessiven Ausbau der Standorte durch Umschichtungen in seinem Etat 850 000 Euro bereitstellen.

Mit dem geplanten Beschluss endet der jahrelange Konflikt um die Behandlung von bis 300 Schwerstabhängigen im Land. Laut einer bundesweiten Studie verbessert die verschreibungspflichtige Herointherapie den Gesundheitszustand extrem Süchtiger so weit, dass sie in eine ausstiegsorientierte Behandlung wechseln können. Außerdem wird die Beschaffungskriminalität vermindert und die Drogenszene gelichtet. Stolz hatte sich dieser Sichtweise früh angeschlossen, weite Teile ihrer Partei indes stellten die Studie in Frage. 2006 hatte sogar ein CDU-Landesparteitag das Projekt abgelehnt, das das Land wegen der Bundesgesetzgebung nun nicht mehr stoppen kann. Es hätte die Umsetzung indes verzögern könnten, worauf es nun aber verzichtet.

Die hohen Anfangskosten verursacht das strenge Sicherheitskonzept. Es schreibt etwa vor, dass Diamorphin nur in fensterlosen Räumen aus Stahlbeton gelagert werden darf. Die Außenwände müssen mit Körperschallmeldern versehen und der Zugang elektronisch kontrolliert werden. Die Räume, in denen der Ersatzstoff unter Aufsicht konsumiert werden darf, müssen permanent videoüberwacht und die Aufzeichnungen dürfen erst nach 48 Stunden gelöscht werden. Während der Verabreichung von Diamorphin müssen in der Einrichtung mindestens drei Fachkräfte anwesend sein.

Kommentar:

Es ist ein später Sieg der Vernunft, wenn sich die Landesregierung nun anschickt, die Herointherapie aktiv zu unterstützen. Denn die Ergebnisse einer bereits 2006 abgeschlossenen bundesweiten Vergleichsstudie sind eindeutig: Bei Schwerstabhängigen ist die ärztlich kontrollierte Therapie mit künstlichem Heroin dem bisherigen Ersatzmittel Methadon überlegen. Den Patienten geht es gesundheitlich besser und sie sind auch seltener kriminell als Methadon-Patienten. Das spricht für die Therapie und relativiert die hohen Anfangskosten beträchtlich.

Trotz der eindeutigen Faktenlage hat sich die Landes-CDU lange gegen die Herointherapie gesperrt – auch, weil sie glaubte, dass sie mit Hilfen für Junkies in konservativen Kreisen nicht punkten kann. Doch zum einen hat der Bund die Bedenken nicht geteilt. Zum anderen haben selbst exponierte Vertreter der Konservativen wie Hessens Noch-Regierungschef Roland Koch nach anfänglicher Skepsis die Vorteile der Therapie erkannt: weniger Junkies in Parks, weniger Dealer, weniger Kriminalität, weniger Drogentote.

Der anstehende Kabinettsbeschluss ist daher eine große Chance. Denn damit ist ein Thema abgearbeitet, das extrem ideologisch belastet war und viel Ressourcen und Aufmerksamkeit gebunden hat. Die Chance besteht darin, dass nun wieder mehr Kräfte frei werden für drängendere Probleme wie Missbrauch von Alkohol und Medikamenten. ROLAND MUSCHEL

Wie stellt sich die aktuelle Situation der Substitutionsbehandlung in Österreich dar? Im Rahmen einer umfangreichen Querschnittstudie erörterten Univ.Prof. Dr. Alfred Springer, Pionier der österreichischen Suchtforschung, und Dr. Alfred Uhl, Koordinator des Forschungsbereiches „Epidemiologie / Sozialwissenschaften“ sowie des Bereiches „Suchtpräventionsdokumentation – Alkohol“ am Anton Proksch Institut (API) in Wien, Themen wie das Ausbildungsniveau und die Arbeitsweise der Ärzte, die Zufriedenheit der Patienten sowie die Bewertung der verschiedenen Substanzen, die für die Substitution zur Verfügung stehen. Die Daten repräsentieren signifikant die Situation des Landes: Die Ergebnisse beruhen auf den Aussagen von etwa zwei Drittel der gesamten Substitutionspatienten in Österreich. Im Gespräch mit drogensubstitution.at bietet Alfred Springer Einblick in die wichtigsten Erkenntnisse der Studie.

Wie steht es aktuell um die Substitutionsbehandlung in Österreich?

Springer: Im Großen und Ganzen lässt sich aus der Studie ableiten, dass die Substitutionsbehandlung sowohl aus der Sicht der Ärzte wie auch der Patienten recht gut und zufriedenstellend funktioniert. Allerdings konnte keine Information darüber gewonnen werden, in wie viel Fällen die Substitution nicht angenommen wurde oder abgebrochen wurde. Die zur Verfügung stehenden Mittel werden differenziert und diversifiziert eingesetzt, wobei im Zeitraum in dem die Untersuchung stattfand, bereits die Verschreibungsregeln der neuen Substitutionsverordnung umgesetzt wurden.

Welche Substanz wurde am häufigsten verschrieben?

Springer: Die zumeist verschriebenen Substanzen waren Morphinzubereitungen mit verzögerter Freisetzung der Wirksubstanz gefolgt von Methadon und Buprenorphin. Die Morphinpräparate wurden sowohl von den Ärzten wie auch den Patienten am positivsten bewertet. Allerdings wurde ihnen von den Ärzten ein relativ hohes Missbrauchspotential zugeordnet. Das geringste derartige Risiko wurde dem Buprenorphin zugeschrieben. Methadon schnitt sowohl in der Bewertung durch die Patienten wie auch durch die Ärzte am schlechtesten ab.

Unter welchen Bedingungen wurde welche Substanz eingesetzt?

Springer: Die positiven Bewertungen ergaben ein differenziertes Bild. Die Ärzte gaben an, dass sie das Morphin insbesondere bei somatisch kranken Patienten, schweren psychischen Komorbiditäten und langer Substitutionsdauer bevorzugten, während das Buprenorphin vorrangig jüngeren Patienten mit relativ kurzer Suchtanamnese verordnet wurde. Auffallend war, dass Methadon überzufällig häufig in niedriger Dosierung verschrieben wurde. Die Bedingung einer täglich oder mehrmals wöchentlich kontrollierten Einnahme wurde am häufigsten im Falle der Morphin-Verschreibungen umgesetzt.

Welche Kritik üben die Patienten?

Springer: Kritik wurde von den Patienten hauptsächlich an den Mitgaberegeln geäußert, wobei diese Kritik auch in der Bewertung der Substanz Niederschlag fand. Der Wunsch nach Umstellung des Mittels wurde am häufigsten von Methadon-Substituierten geäußert, am seltensten von den Morphin-Klienten.

Was bedeuten die Ergebnisse für die Praxis der Substitutionsbehandlung?

Springer: Wie auch aus internationalen Studien bekannt ist, funktioniert die Substitutionsbehandlung besser, wenn nur solche Regeln den Behandlungsablauf beeinflussen, die sowohl für den Arzt wie für die Patienten verständlich und notwendig sind. Auch unsere Ergebnisse sprechen dafür, dass eine patientengerechte Dosierung und eine minimal beschränkende Mitgaberegelung zu höherer Patientenzufriedenheit führen und damit sicherlich auch zu besserer Compliance beitragen. Aufklärungsbedarf besteht, warum Methadon so häufig in niedriger Dosierung (eventuell sogar unterdosiert) verschrieben wird. Eine Begriffsklärung scheint notwendig, was für Ärzte als „Missbrauchspotential“ bedeutet. Wird darunter lediglich die Bereitschaft zu verschreibungswidrigem intravenösem Gebrauch verstanden, oder gibt es weitergehende ordnungs- und sicherheitspolitische Bedenken? Ohne eine derartige Begriffsklärung wird man wohl kaum zu Maßnahmen gelangen, die eine Optimierung der Situation versprechen.

Im Gegensatz zu Morphin retard und Buprenorphin schneidet Methadon in der Bewertung sowohl bei den Ärzten, als auch bei den Patienten schlechter ab.

Springer: Methadon schneidet in der Bewertung schlechter ab, allerdings sind die Unterschiede auch wieder nicht so gravierend, weil die Zufriedenheit mit der Substitutionsbehandlung auch bei Methadonklienten überwiegt. Überhaupt sollte man dieses Phänomen differenziert und nicht auf Substanzniveau allein beschränkt untersuchen. Die Bewertung einer Substanz hängt nicht nur von ihren pharmakologischen Eigenschaften ab, sondern ist weitgehend auch von den Bedingungen ihrer Abgabe und anderen sozialen und psychologischen Faktoren mitbestimmt.

Was kann die Politik in Hinsicht auf das aktuelle Suchtmittelgesetz daraus lernen?

Springer: Für die politische Bewertung ist sicher wichtig, dass sich erweist, dass die Ärzte differenziert und problembewusst handeln. Die neu geschaffenen Konditionen und Restriktionen haben gegriffen, allerdings leider nicht nur zu den erwünschten Ergebnissen geführt. Insbesondere ist der Beigebrauch nicht unter Kontrolle gebracht worden und scheint insbesondere bei Methadonklienten eine recht hohe Bereitschaft zu bestehen, andere Opioide, die illegal erworben werden, zu gebrauchen. Genauere Forschung müsste sich der Frage widmen, ob diese Bereitschaft auch etwas mit der Zubereitung der Substanz zu tun hat. Zu hinterfragen ist auch, ob die Erschwerung, Methadon intravenös zu gebrauchen, dazu führt, dass andere Substanzen für den intravenösen Gebrauch erworben werden. Dieser Missbrauchssituation kann offenkundig weder durch Verbote noch durch restriktive Verschreibung und der Forderung nach Weiterbildung des Arztes wirksam begegnet werden.

Auf jeden Fall sprechen die Ergebnisse dafür, dass eine hohe Kompetenz der substituierenden Ärzte besteht, die Behandlungsmethode gut etabliert ist und von jener Klientel, die sich mit den Bedingungen, unter denen sie umgesetzt wird, abfindet, gut angenommen wird. In  der Zukunft  sollte dafür gesorgt werden, dass die Kompetenz genutzt wird und dass die drogenpolitische Regulierung den Zugang zur Substitutionsbehandlung erleichtert. Es sollte ein flächendeckendes Angebot ermöglicht werden, das auch für jene Teilpopulation der Morphinabhängigen attraktiv ist, die bis jetzt nicht den Zugang zu dieser Versorgung gefunden hat.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Die Studie zum Downloaden: (PDF, Querschnittstudie)

source: http://www.drogensubstitution.at/expertenmeinung/aktuelle-situation-der-substitutionsbehandlung-in-oesterreich-eine-querschnittstudie.htm

1. 000 Heroinabhängige werden in Österreich mit opiatähnlichen Substanzen substitutiert – Ganslwirt-Leiter Hans Haltmayer beklagt zu wenig Therapieplätze

Haltmayer: Sucht ist von der WHO als Erkrankung definiert und in den internationalen Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM IV auch als solche beschrieben und festgehalten. Mit Willensschwäche hat eine Suchterkrankung gar nichts zu tun.

derStandard.at: Dann ist Rauchen auch eine Krankheit?

Haltmayer: Per definitionem Ja. Es gibt ja mittlerweile auch eine Reihe von Rauchertherapien und Entwöhnungsprogrammen gegen die Nikotinabhängigkeit. Im Vergleich mit der Opiatabhängigkeit wiegt die Nikotinabhängigkeit aber weniger schwer.

derStandard.at: Was die WHO definiert, scheint die Allgemeinbevölkerung aber wenig zu tangieren. Opiatabhängige sind nach wie vor eine stigmatisierte Bevölkerungsgruppe.

Haltmayer: Tatsächlich gibt es hier ein großes Informationsdefizit. Es wird Zeit, dass Experten und Politiker die Bevölkerung darüber informieren, dass die Drogenabhängigkeitserkrankung eine Krankheit ist, die man sich nicht aussuchen kann.

derStandard.at: Die Substitutionstherapie ist eine Behandlungsoption für Opiatabhängige. Ist das langfristige Ziel die völlige Drogenfreiheit?

Haltmayer: Davon kehrt man zunehmend ab, weil es sich vielfach als unrealistisch erweist. Die Substitutionsbehandlung verfolgt andere Ziele. Das wichtigste ist, dass die Patienten nicht mehr in die Illegalität gedrängt werden, sondern in ein strukturiertes medizinisch therapeutisches Behandlungssetting kommen.

Das bringt viele Vorteile. Es kommt zu einer Reduktion der Straffälligkeit und damit zu einer Verringerung von Kosten und Schaden für die Allgemeinheit. Außerdem reduziert sich die Verbreitung von Infektionserkrankungen, wie Hepatitis C oder HIV. Für die Patienten selbst ist das primäre Ziel der Drogenersatztherapie eine Verringerung der Sterblichkeit.

Studien zeigen, dass Opiatabhängige eine 20fach erhöhte Sterblichkeit haben, verglichen mit der Durchschnittsbevölkerung der gleichen Altersgruppe. Unbehandelt sind nach 20 Jahren ungefähr 45 Prozent der Opiatabhängigen tot. Unter Substitutionsbehandlung kann dieser Prozentsatz mehr als halbiert werden.

Das ist für medizinische Maßstäbe ein sensationeller Erfolg. Allerdings sind 20 Prozent noch immer inakzeptabel hoch. Das heißt da müssen noch viele Anstrengungen getätigt werden.

derStandard.at: Wie viele Menschen werden in Österreich substituiert?

Haltmayer: Aktuell werden in Österreich knapp über 11.000 Patienten substitutiert. Der überwiegende Teil davon in Wien. Im Mai 2009 waren es in Wien exakt 7176 Patienten, die auf diese Weise behandelt wurden.

derStandard.at: Wer hat Anrecht auf ein Substitutionsprogramm?

Haltmayer: Eine Indikation wird dann gestellt, wenn eine Opiatabhängigkeit besteht und sich Arzt und Patient über die Behandlung einig sind. Ein weiteres Kriterium ist der Zugang zur Behandlung. Das heißt, wie viele Therapiestellen und Ärzte gibt es, die diese Behandlung anbieten und wie weit ist die nächste Möglichkeit zur Substitutionsbehandlung entfernt.

Im Ganslwirt bieten wir ein sogenanntes niedrigschwelliges Substitutionsprogramm an. Damit gewährleisten wir den Drogenabhängigen einen hürdenlosen Zugang. Vorbedingungen oder hohe Anforderungen werden an den Patienten nicht gestellt. Das Ambulatorium Ganslwirt trägt beispielsweise die Kosten einer Substitutionsbehandlung für nicht versicherte Patienten.

derStandard.at: Mit welchen Substanzen wird in Österreich substituiert?

Haltmayer: Es gibt vier pharmazeutische Hauptprodukte mit denen derzeit substitutiert wird: Methadon, Morphin retard, Buprenorphin und ein Buprenorphin/Naloxon Gemisch. Das sind alles opiatähnliche Substanzen, teilweise natürliche, teilweise künstlich hergestellte.

derStandard.at: Methadon findet bei Patienten angeblich eine relativ geringe Akzeptanz. Warum?

Haltmayer: Zum einen besitzt Methadon viele Nebenwirkungen. Es macht müde, träge und besitzt eine depressionsfördernde beziehungsweise -auslösende Wirkung. Es reduziert die Libido und kann außerdem zu Impotenz führen. Das sind unter anderem Gründe, warum Patienten lieber auf eine andere Substanz umsteigen. In Österreich haben wir hier eine besondere Situation, weil wir als Alternative Morphin retard anbieten können. Substitol, Compensan und Kapanol sind die handelsüblichen Präparate. Der Vorteil dieser Substanzen ist, dass die chemische Wirkung am Beginn der Behandlung Heroin näher ist und daher von den Patienten deutlich bevorzugt wird.

derStandard.at: Experten fordern immer wieder das Verbot von Morphin retard. Warum?

Haltmayer: Das sind Einzelpositionen, meist von Personen die ihren Arbeitsschwerpunkt gar nicht in diesem Bereich haben. Argumentiert wird mit der missbräuchlichen Verwendung dieser Medikamente durch die Patienten. Dabei werden oft mehrere Dinge vermischt.

Der Missbrauch von Medikamenten wird einzelnen Substanzen zugeschrieben und nicht der Abhängigkeitserkrankung selbst. Der Missbrauch von Medikamenten ist aber ein Symptom der Abhängigkeitserkrankung und keine Eigenschaft des Medikaments per se.

derStandard.at: Macht die heroinähnliche Wirkung, Morphin retard nicht auch am Schwarzmarkt attraktiver?

Haltmayer: Natürlich sind sämtliche Morphin retard-Präparate aufgrund ihrer Wirkung auch am Schwarzmarkt erhältlich. Es ist immer eine Frage der Verfügbarkeit. Welche Substanzen sind im Land verfügbar und diese Substanzen finden sich dann auch am Schwarzmarkt.

In Deutschland ist Morphin retard nicht Bestandteil des Drogenersatzprogramms. Dort wird darüber diskutiert, dass Methadon am Schwarzmarkt angeboten wird.

derStandard.at: Warum eignet sich Subutex nur für psychosozial stabile Patienten?

Haltmayer: Subutex ist eine Mischung aus einem Opiat und einem Opiatblocker. Das heißt es besitzt eine opiatähnliche Wirkung die gleichzeitig etwas abgeschwächt und aufgehoben wird. Damit sind die Patienten unter Behandlung dem nüchternen Zustand näher als bei den anderen Drogenersatzpräparaten.

Verständlicherweise kommen Patienten mit einer sehr ausgeprägten Suchterkrankung mit dieser Klarheit nicht zurande. Psychosozial stabil ist in diesem Zusammenhang als Synonym für „weniger krank“ zu verstehen.

derStandard.at: Jeder Opiatabhängige braucht also ein sehr individuelles Behandlungsschema?

Haltmayer: Genau. Es sind zwar prinzipiell alle Medikamente für die Drogenersatztherapie gleich gut geeignet. Die Wahl des richtigen Medikaments muss aber ganz individuell beim einzelnen Patienten erfolgen. Ebenso wie die Höhe der Dosis.

derStandard.at: Welches Mittel in der Dorgenersatztherapie erste beziehungsweise zweite Wahl ist, wurde in Österreich aber von der Politik entschieden?

Haltmayer: Das stimmt und damit ist es auch das einzige Beispiel in der Medizin wo die Politik ein Mittel der ersten Wahl festlegt hat. Diese Entscheidung ist wissenschaftlich nicht fundiert, sollte sie aber sein. Denn die Wissenschaft ist sehr schnelllebig, jedenfalls schnelllebiger als es Verordnungen des Ministeriums sind. Das bedeutet: Es kann sein, dass sich hier auf wissenschaftlicher Ebene was ändert, während die Verordnung immer noch Gültigkeit besitzt.

derStandard.at: Wie sieht es mit der psychischen Unterstützung der Patienten aus?

Haltmayer: Das ist ein ganz wesentlicher zusätzlicher Faktor, der unbedingt berücksichtigt werden muss. Die Substitutionsbehandlung besteht nicht allein aus der Abgabe eines Medikamentes, sondern es braucht auch eine psychosoziale Betreuung. Im Idealfall erhalten die Patienten auch eine Psychotherapie, weil es doch im Laufe der Erkrankung zu vielen Traumatisierungen kommt. Das ist natürlich immer eine Frage des Angebotes. Derzeit gibt es sehr wenig krankenkassenfinanzierte Plätze.

Tatsache ist aber, dass die meisten Suchtkranken wirtschaftlich nicht gut gestellt sind und sich eine private Therapie gar nicht leisten können. Hier gibt es einen Versorgungsengpass. Allerdings – und da lege ich Wert darauf – muss eine psychosoziale Betreuung freiwillig bleiben. Es kann nicht sein, dass sie als Vorraussetzung für die Substitutionsbehandlung definiert wird. Es muss dem Patienten überlassen bleiben, ob er eine Behandlung in Anspruch nehmen will oder nicht.

Hier brauchen wir dringend zusätzliche Plätze, vor allem im psychotherapeutischen Bereich. Eine Ausweitung der Kassenbehandlungsplätze würde eine große Verbesserung in diesem Bereich bringen.

derStandard.at: Wo sehen sie noch Verbesserungsbedarf?

Haltmayer: Es gibt noch zu wenige Substitutionsbehandlungsplätze. In Wien ist die Deckungsrate mit zumindest 50% derer die es benötigen würden, schon recht gut. Aber natürlich müssen in ganz Österreich Therapieplätze geschaffen werden. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Ausweitung der Applikationsform. Wir haben derzeit ein ausschließlich orales Substitutionsbehandlungsprogramm, also nur mit Tabletten. Es sollte auch ein spritzbares Substitutionsmittel angeboten werden. (derStandard.at, 23.02.2010)